Das Schweigen des Chiron

DVD-Kritik: Moonlight
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«Moonlight» verdient all den Lob, den er erhalten hat. Er ist von solch unglaublicher bittersüss-tragischer Schönheit, dass man von der ersten Minute an eingesogen wird in die Geschichte des homosexuellen Chiron. Die Stärke dieses Filmes liegt in der schauspielerischen Leistung aller beteiligten Hauptdarsteller sowie in der Kameraführung. Am Anfang wirkt diese etwas ungelenkt und die Aufnahmen sind sehr unruhig. Doch schnell wird den Zuschauer bewusst, dass dies gewollt ist. Es hilft die beklemmende und instabile Atmosphäre, in der Chiron lebt, zum Zuschauer zu tragen.

  

Die Geschichte Chirons wird in drei Kapiteln erzählt. Dementsprechend wird er von drei verschiedenen Schauspielern gemimt. Diese schaffen es, dem Charakter einen roten Faden zu verpassen. Es gibt keinen Bruch in der Haltung oder Mimik. Schon Klein-Chiron sitzt am Tisch seines Ziehvaters Juan und isst eine grosse Portion frittierte Pouletschenkel mit Kartoffelbrei und geht nicht auf Juans Fragen ein. Er ringt um Worte oder hat Angst, dass wenn er seine Ängste in Worte fassen würde, diese ihn zerfrässen und noch mehr Angriffsfläche gäben. Als Erwachsener hat sich an dieser Szene kaum etwas verändert. Er sitzt mit einer Portion schwarzen Bohnen, Reis und Fisch vor sich und schweigt eine gefühlte Ewigkeit lang oder antwortet nicht, als sein Kindheitsfreund Kevin ihm Fragen stellt. Auch seine Haltung ändert sich kaum. Als Teenager hat sich seine Mimik kaum von der eines kleinen, ängstlichen Kindes verändert. Er geht noch immer mit zusammengezogenen Schultern, sein Blick wandert unruhig umher und er senkt den Kopf wie ein geprügelter Hund, der darauf wartet geschlagen zu werden. Diese ändert sich erst als Erwachsener. Er härtet sich ab, baut Muskeln auf und zusammengeschlagen wird er bestimmt nicht mehr. Sein Blick, die Schweigsamkeit, das Ringen um Wörter und die Einsamkeit haben sich aber nicht verändert. 

 

Seine Homosexualität wird nie direkt angesprochen. Auch wird erst Ende des zweiten Kapitels klar, dass Chiron schwul ist. Wer das grosse Outing mit einem Happy-End erwartet, der wählt hierbei den falschen Film. Denn Chiron ist auch zum Schluss des Filmes zu sehr in seinem Panzer gefangen, um aufzuschreien und zu sich zu stehen. Aus der Raupe wird nie ein Schmetterling. Zu hart liess die Umwelt seinen Kokon werden.

 

Zu sagen, dass es Mut braucht, einen Film über einen afroamerikanischen Homosexuellen zu drehen, wäre falsch. Es ist an der Zeit, dass es solche Filme nicht mehr braucht, weil niemand mehr solches Leid erfahren muss, wie die Hauptperson in «Moonlight» es tut. Der Film ist ein stummer Aufschrei gegen eine Gesellschaft, die es immer noch nicht schafft jeden so zu akzeptieren wie er ist. 

 

 

Wer einen wirklich guten Film sehen möchte, der nicht aus sinnloser, roher Action besteht, der findet in «Moonlight» ein Meisterwerk, das unter die Haut geht. Ein sozialkritisches, emotionsgeladenes Kunststück, das jeden einzelnen Oscar mehr als verdient.

 

 

  • Moonlight (USA 2016)
  • Regie und Drehbuch: Barry Jenkins
  • Besetzung: Alex R. Hibbert (Chiron als Kind), Ashton Sanders (Chiron als Teenager), Trevante Rhodes (Chiron als Erwachsener), Mahershala Ali (Juan, Chirons Ziehvater), Janelle Monáe (Teresa, Juans Freundin), Naomie Harris (Paula, Chirons Mutter)
  • Laufzeit: 111 Minuten
  • Verkaufsstart: Ab sofort auf DVD und Blu-Ray erhältlich.

 

 

catarina martins / Do, 14. Sep 2017